Chorwesen

Autor: Prof. Dr. Friedhelm Brusniak

Stand/Quelle/Datum: 18.2.2011

  • Nach dem Übergang Augsburgs an Bayern zu Beginn des 19. Jahrhunderts stellte das vereinsmäßig organisierte Chorwesen eine neue Kraft dar, die das städtische Musikleben Augsburgs bis in die Gegenwart nachhaltig prägt. Laienchöre bilden auch heute neben dem Opernchor als einzigem professionellen Chor sowie Kirchen- und Schulchören, darunter die Augsburger Domsingknaben, einen wesentlichen Bestandteil der öffentlichen Musikpflege.

    Neben einem gesteigerten Repräsentations- und Bildungsanspruch der Bürger zählte in Augsburg die Parität zu den Faktoren, die in einem überkonfessionellen Ansatz die Bereitschaft zur Vernetzung unterschiedlicher, z. T. auch neu geschaffener Gruppierungen, Vereinigungen und Institutionen förderte. Wesentliche Impulse zu einer von der Idee der Volksbildung getragenen Musikpflege gingen gleichermaßen von Berufsmusikern (Ernst Häussler, Carl Bonaventura Witzka) wie auch von Musikliebhabern (Joseph Carl von Ahorner) aus. Neben Witzka und Karl Kempter komponierte auch der Kapellmeister der protestantischen Kirchen, Carl Ludwig Drobisch, katholische Kirchenmusik und förderte die Oratorienpflege in Augsburg. Eine planmäßig ausgebaute Lehrerbildung stützte die bestehenden Chöre und die neu gebildeten ’Vereine zur Pflege des mehrstimmigen Männergesangs’.

    Seit Oktober 1830 existierte ein aus mehreren kleineren Gesangsgesellschaften gebildeter und nach dem Vorbild des Stuttgarter sog. Ur-Liederkranzes benannter Männergesangverein ’Liederkranz’ (Leitung: Witzka und Ahorner), bei dem katholische Geistliche und Lehrer beider Konfessionen als Solisten auftraten. Öffentliche Konzerte fanden bei freiem Eintritt alle vier Wochen im Saal der Gesellschaft ’Harmonie’ in der Börse statt. Mit der Auflösung der Gesellschaft 1832 endete auch die Tätigkeit des Liederkranzes. Inzwischen hatte die Männerchorbewegung auch andere gesellschaftliche Schichten erfasst: 1833 etwa gründeten Handwerker einen Liederkranz. Doch erst die 1843 durch Johannes Rösle konstituierte Augsburger Liedertafel erlangte überregionale Bedeutung. Durch Rösle und seinen Nachfolger Karl Kammerlander wurde die Liedertafel zum Vorbild für zahlreiche Männergesangvereine in Bayerisch-Schwaben: In Augsburg ’Amicitia’ und ’Concordia’ (1849), ’Sänger- und Musikgesellschaft Cäcilia’ der Baumwollspinnerei am Stadtbach (1858), ’Sängerbund des Evangelischen Handwerker- und Arbeitervereins Augsburg’ (1860), ’Sängerkränzchen des Arbeiterfortbildungsvereins’ (1861). Nach der Gründung des Schwäbisch-Bayerischen Sängerbundes (SBS, Chorverband Bayerisch-Schwaben) am 1.9.1862 und der Ausrichtung des 1. Sängerbundesfestes (1.-3.8.1863) in Augsburg entstanden weitere Gesangvereine, deren Mitglieder sich aus unterschiedlichen sozialen und Bildungsschichten rekrutierten: ’Lyra’ der Augsburger Buntweberei (1867), ’Germania’ (1872), ’Augusta’ (1874), ’Bavaria’ (1878), ’Sängerriege des Turnvereins’ (1883), ’Sängerbund der Mechanischen Baumwoll-Spinnerei und -Weberei Augsburg' (1885).

    Auch in den Vororten Augsburgs wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts über 30 Männerchöre mit rund 1500 aktiven Mitgliedern gegründet. Neben der bürgerlichen Sängerbewegung, die in den Sängerbundesfesten des SBS 1900 und 1913 gipfelte, beginnt mit der Gründung des ’Arbeiter-Sänger-Bundes Augsburg’ 1875 ein neues Kapitel in der Geschichte der Arbeitersängerbewegung Augsburgs und Bayerisch-Schwabens. Im Gegensatz zu den Vorstadt-Arbeitergesangvereinen ’Wach auf’ und ’Arbeitergesangverein Lechhausen’ überstand der Arbeiter-Sänger-Bund eine Phase politischer Verfolgung. 1892 zählte er zu den Mitbegründern des Allgemeinen Bayerischen Arbeiter-Sängerbundes und fusionierte 1919 mit dem ’Arbeiterfrauenchor’ (gegründet 1907) zum ’Volkschor Lassallia’, ehe er 1933 aufgelöst wurde. Auch die Oratorienpflege hatte seit der Gründung des Oratorienvereins 1866 durch Hans Michael Schletterer neuen Aufschwung erfahren. Nachdem bereits 1849 durch Donat Müller eine ’öffentliche Singschule’ gegründet worden war, erlangte die durch Albert Greiner gegründete Singschule (1905, Sing- und Musikschule Mozartstadt Augsburg), an der Otto Jochum 1935 das erste und einzige deutsche Singschullehrerseminar einrichtete, überregionale Bedeutung.

    Auch heute bereichern sowohl Traditionsvereine wie der 1970 aus der Fusion von Augsburger Liedertafel und Oratorienverein hervorgegangene Philharmonische Chor als auch neu gegründete Vereinigungen wie Augsburger Vocal-Ensemble (1977), Musica Suevica (1983) oder der Kammerchor der Universität Augsburg das städtische Musikleben.

Literatur:

Otto Elben, Der volksthümliche deutsche Männergesang, 21887, 70, 313-315

Adam Rauh, Geschichte des Schwäbisch-Bayerischen Sängerbundes, 1913

Franz Krautwurst, Musik im 19. Jahrhundert, in: Geschichte der Stadt Augsburg von der Römerzeit bis zur Gegenwart, 21985, 608-613

Friedhelm Brusniak, Chorwesen im 19. Jahrhundert in Bayerisch-Schwaben, in: Aufbruch ins Industriezeitalter 2, 1985, 556-569

Franz Krautwurst / Wolfgang Zorn, Bibliographie des Schrifttums zur Musikgeschichte der Stadt Augsburg, 1989

Theodor Wohnhaas, Aus der Geschichte der Augsburger Domsingknaben, in: Jahrbuch des Vereins für Augsburger Bistumsgeschichte 22 (1988), 47-54

Die Musik in Geschichte und Gegenwart 1, 21994, 1024-1026.

Plakat zum Schwäbischen Musikfest 1892