Vindeliker

(Vindelici)

Autor: Prof. Dr. Wolfgang Kuhoff

Stand/Quelle/Datum: 2. Auflage Druckausgabe

  • Das Gebiet der Räter und Vindeliker wurde 15 v. Chr. durch Drusus und Tiberius erobert. Es umfasste einen großen Teil der schweizerischen Alpen, Tirols und des deutschen Voralpenlands. Hier siedelten die Vindeliker, die in mehrere Einzelstämme zerfielen, während die Räter den Alpenbereich bewohnten. Als Quellenzeugnisse sind die Angaben bei Horaz über den Feldzugsverlauf, bei Strabon (Geographika IV 6,8 f.; VII 1,5) über Wohnsitze, Siedlungen und Teilstämme der Vindeliker und bei Plinius d. Ä. (Naturalis historia III 20, 133-137) über die Inschrift des Siegesdenkmals von La Turbie für Kaiser Augustus wichtig, doch stimmen sie nicht immer überein. Horaz nennt als vindelikische Stämme Genauni und Breuni, Strabon dagegen führt Brigantii mit dem Hauptort Brigantium (Bregenz), Estiones mit Cambodunum (Kempten) und Licatii mit Damasia an. Der letztgenannte Hauptort des am Lech siedelnden Stammes ist bisher nicht identifiziert; eine archäologisch nachweisbare Entscheidung zwischen den Vorschlägen Augsburg und Auerberg bei Schongau steht zwar immer noch aus, doch ist die zweite Möglichkeit aufgrund der jüngeren Forschungen immer wahrscheinlicher geworden. Außerdem nennt Strabon noch Clautenatii und Vennones, jedoch ohne Angabe einer Siedlung. In der Inschrift des augusteischen Siegesmales ist von vier Stämmen (’gentes Vindelicorum quattuor’) die Rede; es ist aber nicht sicher, ob die darauf folgenden Namen, Cosuanetes, Rucinates, Licates und Catenates, sämtlich diese Teilstämme meinen, zumal die Namen nur teilweise mit denen bei Strabon übereinstimmen. Überdies sind die Größe des Siedlungsgebiets und die Siedlungsintensität unbekannt. Schließlich ist es offen, ob die von diesem erwähnten Siedlungen bereits 15 v. Chr. existierten oder ob sie erst später von den Römern als Hauptorte der drei Stämme eingerichtet wurden; heute neigt die Forschung eher der zweiten Ansicht zu. Auf jeden Fall wurden die männlichen Stammesangehörigen in neuaufgestellte römische Hilfstruppeneinheiten eingezogen. Da für Kempten ansehnliche Gebäudereste aus dem frühen 1. Jahrhundert n. Chr. nachgewiesen sind, ist anzunehmen, dass diese Siedlung die Hauptstadt des ’Raetia et Vindelicia et vallis Poenina’ genannten Gebietes war, bevor daraus die Provinz Rätien gebildet wurde. Sie behielt diese Funktion noch bis in die Zeit der flavischen Kaiser (69-96), als sie mit der Vorverlegung der Nordgrenze über die Donau hinaus an Augusta Vindelic(or)um überging.

Literatur:

Hans-Jörg Kellner, Die Römer in Bayern, 21972, 22-26

Günter Ulbert, Der Auerberg, in: Ausgrabungen in Deutschland, 1975, 409-433

Bernhard Overbeck, Raetien zur Prinzipatszeit, in: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt 2.5.2, 1976, 661-669

Umberto Laffi, Zur Geschichte Vindeliciens unmittelbar nach der römischen Eroberung, in: Bayerische Vorgeschichtsblätter 43 (1978), 19-24

Joachim Werner, Spätes Keltentum zwischen Rom und Germanien, 1979

Karl Christ, Zur augusteischen Germanenpolitik, in: Ders., Römische Geschichte und Wissenschaftsgeschichte 1, 1982, 204-214

Bernhard Overbeck, Geschichte des Alpenrheintals in römischer Zeit auf Grund der archäologischen Zeugnisse 1, 1982, 169-188

Gunther Gottlieb, Die Eroberung des Alpenvorlandes und die Ausdehnung der römischen Herrschaft, in: Geschichte der Stadt Augsburg von der Römerzeit bis zur Gegenwart, 21985, 18-23

Siegmar von Schnurbein, Die Funde von Augsburg-Oberhausen und die Besetzung des Alpenvorlandes durch die Römer, in: Forschungen zur provinzialrömischen Archäologie in Bayerisch-Schwaben, 1985, 28-37

Franz Schön, Der Beginn der römischen Herrschaft in Rätien, 1986

Geschichte der Stadt Kempten, 1989, 9-36

Siegmar von Schnurbein, Nachleben in römischer Zeit, in: Das keltische Jahrtausend, 1993, 244-248.